Warum gibt es Ausschlussfristen im Arbeitsvertrag?
In Arbeitsverträgen sind häufig sogenannte Ausschlussfristen geregelt. Ziel dieser Ausschlussfristen ist es, Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zeitnah zu erheben und so in einem Arbeitsverhältnis eine Bereinigung von Problemen zu gewährleisten. In Arbeitsverträgen verfallen Ansprüche von Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis oft, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei in Textform geltend gemacht werden. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab, oder erklärt sie sich nicht innerhalb von drei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung, oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. Dies gilt auch für solche Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehen.
Streiten Arbeitnehmer und Arbeitgeber zum Beispiel über Entgeltansprüche, so verlangt die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist ein relativ kurzfristiges außergerichtliches Tätigwerden auf erster Stufe und die gerichtliche Geltendmachung auf zweiter Stufe.
Problemstellung: läuft die Ausschlussfrist für die Klageerhebung trotz laufender Verhandlungen?
Kann ein Arbeitnehmer, der bereits außergerichtlich über Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber verhandelt, gezwungen sein kann, wegen einer Ausschlussfristenregelung Klage zu erheben, damit er seine Ansprüche nicht durch Ablauf der zweiten Stufe der Ausschlussfrist zu verliert, obwohl gerade Verhandlungen zur Vermeidung eines solchen Klageverfahrens laufen? Diese Fragestellung wurde höchstrichterlich vom Bundesarbeitsgericht entschieden: Eine Ausschlussfrist wird durch außergerichtliche Vergleichsverhandlungen so lange gehemmt, wie diese Verhandlungen andauern.
(Entscheidung des BAG vom 20. Juni 2018, Az.: 5 Azr 262/17)
Entscheidung zu Ausschlussfristen des fünften Senats des BAG
Verlangt eine arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung, dass ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis zur Vermeidung seines Verfalls innerhalb einer bestimmten Frist gerichtlich geltend gemacht werden muss, so ist die Ausschlussfrist in entsprechender Anwendung des § 203 Satz 1 BGB gehemmt, solange die Parteien vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen führen.
Das BAG konkretisiert seine bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zur Anwendbarkeit der Verjährungsvorschriften auf Ausschlussklauseln.
Nach seiner Rechtsprechung gemäß Urteil vom 25. Mai 2005 (5 Azr 572/04), mit welchem festgestellt wurde, dass die Ausschlussfrist mit der Verjährung aufgrund des drohenden Verfalls der Ansprüche noch eine stärkere, für den Betroffenen nachteilige Wirkung habe, wendet das BAG mit aktueller Entscheidung die Vorschriften des Verjährungsrechts analog an, solange sie dem Wesen der Ausschlussfrist entsprechen.
Der Grundgedanke des gesetzlichen Verjährungsrechts, einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz des Schuldners vor möglichem Verlust von Regressansprüchen gegen Dritte und dem des Gläubigers vor einem ungerechtfertigten Anspruchsverlust zu schaffen, diene als Leitbild für die Inhaltskontrolle von Ausschlussklauseln, so das BAG.
Warum kam diese Entscheidung zu den Ausschlussfristen zustande?
Der Entscheidung lag ein Rechtsstreit über die Abgeltung von Resturlaubstagen und Überstunden nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zugrunde. Der Kläger war bei der beklagten Arbeitgeberin zum 31. Juli 2015 ausgeschieden. Im Arbeitsvertrag war eine zweistufige Ausschlussfrist geregelt, nach welcher Ansprüche beider Parteien aus dem Arbeitsverhältnis verfallen sollten, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten ab Fälligkeit schriftlich gegenüber der Gegenseite geltend gemacht worden sind.
Im Falle der Ablehnung durch die Gegenseite wurde hier das zweiwöchige Schweigen ab Zugang der Geltendmachung der Anspruch innerhalb weiterer drei Monate bei Gericht anhängig zu machen.
Im September 2015 hatte der Arbeitnehmer aufgefordert, die für die Jahre 2014 und 2015 ausstehenden Überstunden und Resturlaubstage abzugelten. Dies wurde Seitens des Arbeitgebers abgelehnt, jedoch wurde gleichzeitig mitgeteilt, dass eine einvernehmliche Lösung angestrebt werde. In der Folgezeit wurden ab Oktober 2015 bis Ende November 2015 mehrere Gespräche zwischen dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer geführt, um eine einvernehmliche Lösung des Streits herbeizuführen. Nachdem die außergerichtlichen Einigungsversuche erfolglos waren, erhob der Kläger im Januar 2016 Klage beim Arbeitsgericht Nürnberg.
Das Arbeitsgericht Nürnberg hat die Klage abgewiesen und ist zu dem Ergebnis gekommen, die Ansprüche seien aufgrund der vertraglichen Ausschlussfrist jedenfalls am 28. Dezember 2015 erloschen. Die Arbeitgeberin habe die Ansprüche mit Schreiben vom 28. September 2015 abgelehnt, womit die Ausschlussfrist auf zweiter Stufe drei Monate später am 28. Dezember 2015 endete.
Hiergegen legte der Arbeitnehmer Berufung beim Landesarbeitsgericht Nürnberg ein. Das Berufungsgericht hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts Nürnberg bestätigt und die Ansicht vertreten, die Ansprüche seien ausgeschlossen, denn der Anwendungsbereich des § 203 BGB sei aufgrund der unterschiedlichen Wirkung des Ablaufs einer Ausschlussfrist und der einer Verjährungsfrist nicht eröffnet.
Warum die Revision des Arbeitnehmers vor dem Bundesarbeitsgericht dennoch Erfolg hatte
Die vom Arbeitnehmer eingereichte Revision beim Bundesarbeitsgericht hatte schlussendlich dennoch Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht hat den erst- und zweitinstanzlichen Entscheidungen eine Absage erteilt und an das Landesarbeitsgericht zur erneuten Verhandlung zurückgewiesen.
Die Ansprüche des Arbeitnehmers sind nicht wegen verspäteter Klageerhebung verfallen, vielmehr hat der Arbeitnehmer die zweite Stufe der Ausschlussfrist eingehalten.
Nach Ansicht des BAG ist durch die außergerichtlichen Gespräche der Arbeitsvertragsparteien die zweite Stufe der Ausschlussfrist in analoger Anwendung des § 203 Satz 1 BGB gehemmt worden.
Unterschied und Gemeinsamkeit von Ausschlussfristen und Verjährungsfristen im Arbeitsvertrag
Das BAG kommt zu dem Ergebnis, dass sich Ausschlussfristen und Verjährungsfristen zwar letztlich in ihrer Rechtswirkung unterscheiden – Vernichtung des Anspruchs versus Verhinderung der Durchsetzbarkeit des Anspruchs – beide hätten jedoch gemein, dass der Anspruchsinhaber seinen Anspruch nur innerhalb bestimmter Fristen verwirklichen kann und dienen damit der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden.
Ähnlichkeit und Funktion beider Regelungen, sowie die Bezugnahme der arbeitsvertraglichen Ausschlussklausel auf den Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB (Klageerhebung) führt zu einer analogen Anwendung der Verjährungsvorschriften, deren Zweck dem Wesen der Ausschlussfrist nicht widerspricht. Dies gilt für § 203 Satz 1 BGB in analoger Anwendung. Die Verjährungshemmung durch Verhandlung gebe den Parteien die Möglichkeit, ohne Fristendruck eine Einigung zu versuchen und hat somit den Zweck, Prozesse zu vermeiden. Hierdurch wird der Anspruchsgegner in keinster Weise benachteiligt, da er selbst entscheiden kann, ob und wie lange er die Verhandlungen aufrecht erhält.
Nach Beendigung der außergerichtlichen Verhandlungen muss nach Ansicht des BAG jedoch darauf abgestellt werden, wie viel von der zweiten Stufe der Ausschlussfrist abzüglich des Hemmungszeitraums noch übrig ist, um den Ablauf der Ausschlussfrist zu ermitteln.
Verlangt also eine arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung, dass ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis zur Vermeidung eines Verfalls innerhalb einer bestimmten Frist gerichtlich geltend gemacht werden muss, so ist die Ausschlussfrist in entsprechender Anwendung des § 203 Satz 1 BGB gehemmt, solange die Parteien vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen führen.
Folgen der BAG Rechtsprechung zur Ausschlussfristenregelung in Arbeitsverträgen
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wird in der Praxis erhebliche Folgen haben, da die zweistufige Ausschlussfristenregelung in Arbeitsverträgen zwischenzeitlich üblicher Standard geworden ist. Das BAG schafft mit dieser Entscheidung Rechtssicherheit. Außergerichtliche Vergleichsverhandlungen entfalten fristhemmende Wirkung. Dies gibt den Arbeitsvertragsparteien Gelegenheit, ohne Fristendruck gütlich im außergerichtlichen Stadium eine Streitlösung herbeizuführen. In der Vergangenheit führten außergerichtliche Vergleichsverhandlungen regelmäßig zu einem rechtsmissbräuchlichen Berufen der Anspruchsgegnerseite auf die vertragliche Ausschlussfrist. Das BAG hat hier in ständiger Rechtsprechung betont, dass, wenn ein Vertragspartner den anderen durch aktives Handeln vom Einhalten der Ausschlussfrist abgehalten, oder es pflichtwidrig unterlassen hat, ihm Umstände mitzuteilen, die ihn zur Einhaltung der Ausschlussfrist veranlasst hätten, könne die Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit des Berufens des Anspruchsgegners auf die Ausschlussfristen vorliegen.
Beim schlichten Führen außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen sei dies jedoch in der Regel nicht der Fall. Mit der Folge, dass der Gläubiger eines Anspruchs trotz außergerichtlicher Verhandlungen angehalten war, trotz ihrer Bemühungen um eine Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens fristwahrend Klage zu erheben. Dieser Zwang wurde durch die aktuelle Rechtsprechung des BAG zwar beseitigt, allerdings wird sich nunmehr aller Voraussicht nach der Streitpunkt um einen Ablauf der Ausschlussfrist auf die Frage konzentrieren, ob und wie lange Vergleichsverhandlungen tatsächlich geführt worden sind.
Nach der Entscheidung des BAG kommt es auf den taggenauen Zeitraum bei der Ermittlung der Hemmungsdauer an. So wird es von erheblicher Bedeutung sein, dass Beginn und Ende der stattgefundenen Einigungsgespräche zwischen den Arbeitsvertragsparteien konkret dokumentiert werden.
Nur dann besteht eine Chance auf vorgerichtliche Verhandlungen mit einer Hemmung der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist und damit eine Verschiebung des Zeitpunktes einer fristwahrenden Klageerhebung zu argumentieren.
Sofern auch Sie, ob als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber zum Thema Arbeitsrecht, Arbeitsvertrag, Regelung von Ausschlussfristen eine Frage haben, wenden Sie sich jederzeit an uns.
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